Apodemik
Das griechische Wort ἀποδημέω 1) bedeutet so viel wie »fort von zu Hause«, insbesondere im Militärdienst. In der Literatur bezeichnet es seit dem 16. Jahrhundert einen Teil der Reiseliteratur mit Berührungspunkten zu Reisebericht, Reiseführer und Länderkunde. Eine Apodemik enthält dagegen drei Komponenten:
- eine Lehre zum richtigen Reisen (»Reisekunst«) im Unterschied zur Oditologie und zur ars viatica,
also etwa als Entdeckungsreise, Grand Tour oder Bildungsreise für Gelehrte, Forscher, Künstler, Gentlemen, Adlige; - Kriterien für die Sicht auf die Welt und deren Aneignung,
also etwa das Sammeln von Wissen, Besuchen von Sehenswürdigkeiten, Gespräche mit wichtigen Leuten.
Neu an der Apodemik war zum einen das Schaffen einer Methodik, zum zweiten die Verbreitung über das Buch und drittens der Versuch die »richtige« Reise nach gesellschaftlich akzeptierten Regeln zu formen, also über das handwerkliche hinaus eine Reisekunst zu entwerfen. Sie machte die Reise zu einer Schule des Sehens, zur Methodik der Weltanschauung, die daher auch den Zeitläuften entsprechend wechselt (Reisegenerationen) und die literarischen Formen verändert, siehe Reisekunst.
Die Apodemik zeigt daher auch einen Paradigmenwechsel an, vom Held und Ritter hin zum Entdecker und Erforscher. Der beste Kenner dieser Literaturgattung Justin Stagl
2) legt den Beginn auf das Jahr 1574 und das Ende der auf 1795:
- 1577
Theodor Zwinger
(1533–1588) verwendet erstmals den Begriff in:- Methodus apodemica in eorum gratiam, qui cum fructu in quocumque tandem vitae genere peregrinari cupiunt. 12 Bl., 400 Seiten, 12 Bl., Basileae 1577: Eusebii Episcopii opera atque impensa.
- 1795
Franz Posselt
: Apodemik oder die Kunst zu reisen. Ein systematischer Versuch zum Gebrauch junger Reisenden aus den gebildeten Ständen überhaupt und angehender Gelehrter und Künstler insbesondere. 2 Bände, Leipzig
»Die wahre Reise sucht keine neuen Landschaften, sondern entdeckt Neues im Altbekannten.« Marcel Proust (1871 - 1922)
Tatsächlich jedoch sind bis in die Gegenwart Werke erschienen, die als Ratgeber für zeittypische Reiseformen apodemische Züge aufweisen, siehe die Literaturliste Apodemik/Reisetechnik. Abhanden gekommen ist diesen jedoch die Funktion, individuelles Reisen als gesellschaftlich wertvoll zu verstehen. Das Zeitalter der Entdeckungen ist vorbei, weil die Erde rund und alles bekannt ist. Touristen können durch Reisen nichts Neues mitbringen, geblieben sind die Souvenirs. Die Bildung, die Globetrotter mit nach Hause bringen, erfährt dort nur eine geringe Wertschätzung.
Günter, Wolfgang
Ars Apodemica.
Reiseerfahrung als geplantes Lebenslaufelement.
In: Rudolf W. Keck, Erhard Wiersing (Hrsg.): Vormoderne Lebensläufe – erziehungstheoretisch betrachtet. Köln / Weimar / Wien 1994, S. 345–356.Klara Löffler
Warum wir Bridget Jones lieben.
Oder: Ethnographische Recherchen zur Ratgeberlektüre.
In: Michael Simon, Thomas Hengartner, Timo Heimerdinger, Ann-Christin Lux (Hg.): Bilder. Bücher. Bytes. Zur Medialität des Alltags. 36. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde 23. bis 26. September 2007 in Mainz. Münster, Berlin, New York 2009 (= Mainzer Beiträge zur Kulturanthropologie/Volkskunde, Bd. 3), S. 217-227.Karl A. E Enenkel
,Jan de Jong
Artes Apodemicae and Early Modern Traveling Culture 1400-1700.
XIX, 339 S. Leiden; Boston 2019: Brill. Inhalt:- Justin Stagl
Ars apodemica and socio-cultural research - Karl Enenkel
Loysius
's Pervigilium mercurii and other early Latin artes apodemicae.
The constitution of a genre through intertextuality - Jan Papy
Justus Lipsius
on travelling to Italy.
From a humanist letter-essay to an oration and a political guidebook - Gabor Gelleri
Handbooks for the courtier and handbooks for the traveller : intersections of two forms of early modern advice literature - Bernd Roling
Through Canada withLinnaeus
: the Swedish-Finnish traveller to AmericaPehr Kalm
and his use of the Ars apodemica of Carl Linnaeus - Kerstin Maria Pahl
Joint adventures : company and companions in seventeenth-century English travelling culture - Jan L. de Jong
Reading instead of travelling:Nathan Chytraeus
's Variorum in Europa itinerum deliciae - Johanna Luggin
Thomas Hobbes
' journey poem De mirabilibus Pecci (1627): a travel guide for early English domestic tourism - Marc Laureys
Classical tradition and contemporary experience in Hugo Favolius's Hodoeporicon Byzantinum (1563) - Justina Spencer
Habits and habillement in seventeenth-century voyages :Georges de La Chappelle
's Recueil des divers portraits des principals dames de la Porte du Grand Turc
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